Einem Spracharbeiter – in memoriam

Der plötzliche Tod des Literaturwissenschaftlers Wendelin Schmidt-Dengler reißt ein großes Loch in die österreichische Kulturlandschaft. Einige Erinnerungen an den Professor, Wissenschaftler und Fußballfan.

Als ich meine letzte Prüfung an der Universität ablegte, stand für mich fest: Dort wo ich angefangen hatte, in einer Vorlesung von Prof. Schmidt-Dengler, sollte mein Studium auch enden. Die Prüfung verlief typisch für die geliebten und gefürchteten Schmidt-Denlgerschen Kolloquien: Zu Beginn sein entgeisterter Blick – unseren Termin hatte er vereinbart und gleich wieder vergessen. Zwischendurch also schnell zwei Fachkollegen in ein Zimmer gebracht und um 5 Minuten gebeten, nahm er die Prüfung ab (führte nebenbei zwei Telefongespräche und vereinbarte weitere Termine). Als ich ihm gegenüber saß, dann der scharfe Blick ins Gesicht und nach kurzem Innehalten: „Wir kennen uns doch?“ Gesichter vergaß er nicht, auch wenn man einander schon Jahre nicht mehr gesehen hatte.

Rastlos eilte der 1942 in Zagreb geborene Wendelin Schmidt-Dengler durch ein Leben mit und für Literatur. Nach seiner Schulzeit inskribierte er Latein, Griechisch und Germanistik – wobei er Literatur eigentlich nicht studieren, sondern als geheime Liebe für sich behalten wollte. Er dissertierte über Augustinus und habilitierte sich mit einem Thema über antike Mythologie. Seine umfassende Kenntnis der griechischen und lateinischen Literatur war stets beeindruckend, nicht zuletzt war das Verständnis von Literatur und Kultur vor ihrem antiken Hintergrund auch einer der bestimmenden Ansätze Schmidt-Dengler. 1966 wurde er Assistent am Institut für Germanistik der Universität Wien. In dieser Zeit beginnt er auch Literaturkritiken zu schreiben, zunächst aus Not heraus: „Man hat als Assistent nicht sehr viel verdient. Und beim Rundfunk gab es die Möglichkeit, für 600 Schilling eine Rezension zu schreiben und dann auch noch das Buch dafür zu kriegen.“ In dieser Zeit eignete sich Schmidt-Dengler sein legendäres Arbeitstempo an: „Ich habe mir vorgenommen, täglich 80 Seiten zu lesen – die Hälfte Belletristik und die Hälfte Wissenschaft – sowie ein bis zwei Typoskriptseiten pro Tag zu verfassen.“ Dabei hatte seine wissenschaftliche Karriere fast zufällig begonnen: Schmidt-Dengler freundete sich mit dem Sekretär Heimito von Doderers an, der ihm nach dem Tod des Schriftstellers den Nachlass zur Bearbeitung anvertraute. Doderer übrigens hatte Schmidt-Dengler auch noch kennengelernt und durch seine Kenntnisse der griechischen Literatur beeindruckt: Schmidt Dengler soll ein von Doderer vorgebrachtes Homer-Zitat auf Griechisch beendet und sich so die Gunst des alten Meisters zugezogen haben. 1980 wurde er Professor für Germanistik in Wien. Dort entfaltete „wsd“ (wie er Emails meist zeichnete) eine rastlose Tätigkeit: Als Professor und Institutsvorstand und prägte wesentlich den Ruf der Wiener Germanistik. Das Konzept einer österreichischen Literatur, jenseits von Blut und Boden Ideologie war eines seiner bleibenden Verdienste. Lange bevor die Aufarbeitung der eigenen Fachgeschichte en vogue war, machte Schmidt-Dengler kritisch auf die braune Vergangenheit der Wiener Germanistik unter Josef Nadler aufmerksam. Neben Lehraufträgen in ganz Europa war er seit 1996 Leiter des ö–sterreichischen Literaturarchivs. Einer breiten ö–ffentlichkeit wurde er als Literaturkritiker und Fußballexperte bekannt. Ein Jahr vor seinem Tod wurde Schmidt-Dengler als Wissenschaftler des Jahres ausgezeichnet. Am 7. September 2008 erlag er überraschend einer Lungenembolie.

Generationen von StudentInnen verschiedenster Fachdisziplinen kannten Wendelin Schmidt-Dengler als Prototyp des ruhelosen Gelehrten. In seinen Vorlesungen glühten die Kugelschreiber nur so, angesichts der Satzkaskaden vom Rednerpult. Doch dann: Immer wieder dieses Einhalten, Aufschauen. Seine freien Ausführungen waren nicht minder druckreif und oft von beeindruckendem Inhalt, wenn er beispielsweise die Odyssee auf Griechisch aus dem Gedächtnis zitierte. Oder lautstark in den Hörsaal hineinskandierte, die Elisabeth Gehrer sei „förmlich fleischgewordene Reform“ und „eine bekennende Analphabetin“. Und immer wieder betonte er eines: Der Literaturwissenschaftler sei ein professioneller Leser, man dürfe nicht dem politischen und intellektuellen Analphabetentum Tür und Tor öffnen. Bildung und nicht zuletzt auch Literatur hielt er geeignet, ein Bollwerk dagegen zu Bilden. So setzte sich Schmidt-Dengler in seinen letzten Lebensjahren intensiv für studentische Belange ein. Die Seifenblase der „Weltklasseuni“ und die Elitendebatte kommentierte er spitz und schloß sich studentischen Protesten gegen Bildungsabbau an. Legendär ist seine Vorlesung auf der Ringstraße, mit der er sich dem Protest gegen die Universitätsreform anschloß.

Ohne Gedichte könne er nicht leben, sagte Schmidt-Dengler einmal. Seine Liebe zur Literatur wirkte ansteckend – egal, ob er in einer Vorlesung ein Gedicht vortrug oder auf ö–1 über einen Autor/eine Autorin sprach. Diese Begeisterung für Literatur zu vermitteln war ihm ein großes Anliegen. „Wsd“ war ein Germanist der AutorInnen und widmete sich der Förderung der österreichischen Literatur, wie wohl kein anderer. Und das nicht nur, wie Elfriede Jellinek schrieb: „indem er die berühmten AutorInnen geschätzt und immer wieder analysiert und seinen StudentInnen nahegebracht hat, sondern auch in seiner Begeisterung für die Ränder der Literatur, ihre Außenseiter, die eigentlich die wichtigsten in jeder Literatur, in jeder Kunst sind.“ Als Literaturkritiker vermittelte er die Freude an Sprache und Literatur auch einer breiten ö–ffentlichkeit und schaute dabei über den eigenen Tellerrand – mit der Interpretation von Grönemeyer Liedtexten oder als Fußballkommentator. Der Fußball war für den passionierten Rapid Fan überhaupt zentral, das Theater der Antike in neuer Form. Angeblich machte er bisweilen sogar den aktuellen Stand der Bundesliga zum Prüfungsstoff seiner mündlichen Kolloquien. Für seine geliebten Spiele im Stadion, das sei ihm zu wünschen, hat er nun wohl den besten Platz. In St. Hanappi und an der Universität wird er fehlen.

Timon Jakli studiert Germanistik in Wien

Veröffentlicht in PROGRESS 5/08

Timon
Spracharbeiter. Kommunikator. Sprecher. Trainer. Historiker. Leidenschaftlicher Koch. Foodie.

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