In der Heimat von Platon und Aristoteles sei die Wissenschaft besonders gern zu Hause – würde man meinen. Doch nicht alle GriechInnen sind PhilosophInnen, nicht jeder Tanz ein Syrtaki und Studieren in Griechenland heißt nicht zuletzt mit einer Menge Problemen fertig werden.
Beim Schlagwort Griechenland kommen den meisten wahrscheinlich Tavernen mit blauen Stühlen, Syrtaki und Sonne in den Sinn, nicht jedoch dass das Nationaleinkommen das zweitniedrigste der „alten“ EU-Länder ist, die Arbeitslosenquote bei 10% liegt. Die Verfassung schreibt vor, dass Bildung kostenlos ist – weshalb es in Griechenland weder Studiengebühren gibt, noch private Schulen und Universitäten erlaubt sind. Dies wird von der regierenden neoliberalen Nea Dimokratia mehr und mehr unterwandert, was zu heftigen StudentInnenprotesten in den letzten Monaten führte. Das „Ministerium für Bildung und religiöse Angelegenheiten“ verwaltet 22 Universitäten, an denen 360 000 StudentInnen studieren, weitere 210 000 besuchen eine der 14 TEI (entspr. Fachhochschulen).
Die Grundlage vieler Probleme wird bereits in den Mittelschulen gelegt. Bis 15 besuchen die Kinder eine zweistufige Gesamtschule. Danach kann entweder ein Lykeio (entspr. Gymnasium) oder ein TEE (entspr. Fachschule/HTL) besucht werden. Sissy, die in Thessaloniki studiert, erklärt: „Die Schule vermittelt nicht alles, was die Schüler brauche, um zu studieren, es werden nur sehr basale Kenntnisse vermittelt.“ Daher nehmen die meisten SchülerInnen Nachhilfe. Die Kosten dafür (etwa 2000-3000 Euro pro Kind und Jahr) sind eine enorme Belastung für sozial schwächere Familien. „Viele haben Schwierigkeiten das Geld aufzubringen, zahlen aber trotzdem, weil sie hoffen, dass das Kind die Universität besuchen kann“, erklärt Sissy.
Der Sprung an die Uni wird durch einen strengen numerus clausus gebremst. In landesweiten Examen werden die SchülerInnen gereiht. Gleichzeitig müssen sie bereits hier Studienrichtung und Universität wählen. Für einen Studienplatz sind gute Leistungen im Examen und beim Schulabschluss im jeweiligen Fach erforderlich. Schafft man das Examen nicht, gibt es die Möglichkeit diese zu wiederholen oder durch einen guten Fachabschluss einen Platz an einem TEI zu bekommen. Aufgrund dieser harten Auswahlbedingungen investieren viele Familien hohe Summen in Nachhilfe, in der Hoffnung den Kindern sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Die scheinbare Gleichheit im Auswahlverfahren wirkt jedoch genau entgegengesetzt, wie Pierre Bourdieu analysiert: „Indem das Schulsystem alle Schüler, wie ungleich sie auch in Wirklichkeit sein mögen, in ihren Rechten wie Pflichten gleich behandelt, sanktioniert es faktisch die ursprünglichen Ungleichheiten gegenüber der Kultur.“ Kosmas, der in Athen studiert, konkretisiert: „Da wirklich alle Nachhilfe nehmen müssen, sind die gut Verdienenden natürlich im Vorteil.“
Das studentische Leben ist einerseits von Prekärität geprägt. Ein Studienbeihilfenwesen wie in ö–sterreich gibt es nicht, viele StudentInnen müssen sich Geld dazuverdienen, meist ohne Anmeldung und soziale Absicherung. Andererseits werden an griechischen Unis Lehrbücher kostenlos zur Verfügung gestellt, auch Mensa und Museen sind frei. Die meisten Lehrveranstaltungen haben Vorlesungscharakter, Seminare und Seminararbeiten sind eher die Ausnahme. Neben Souvlaki und Nescafö© Frappö© gehört auch die lebendige studentische Protestkultur traditionell zum griechischen StudentInnenleben dazu.
Timon Jakli studiert Germanistik und Soziologie in Wien und Konstanz
Weblinks: http://www.ypepth.gr
Veröffentlicht in PROGRESS 01/07, S. 11