Am 29. September endete die Frist, innerhalb der ehemalige Zivildiener ihre Ansprüche auf Nachzahlung des Verpflegungsgeldes anmelden konnten. Eine Bestandsaufnahme von begangenem Unrecht, politischer Willkür und ausgebeuteten jungen Menschen. Von Timon Jakli
Der Autobus nach Wien. Ein Grundwehrdiener in voller Uniform steigt ein, lässig einen Rucksack über die Schulter geworfen. Nicht einmal seinen Ausweis muss er herzeigen, sofort erhält er einen verbilligten Fahrschein. Einige ältere Damen äußern sich bewundernd über den schmucken Soldaten, wie attraktiv die jungen Männer im Kampfanzug nicht seien. Direkt hinter ihm ein anderer junger Mann, lässig gekleidet mit Dreads. Er zeigt seinen Zivildienerausweis vor, statt einem verbilligten Fahrschein bekommt er aber vom Fahrer unfreundlich erwidert, dass er keinen Anspruch darauf hätte. Wenn es ihm nicht passe, hätte er ja zum Heer gehen können. Die alten Damen sehen den jungen Mann pikiert an.
Der junge Mann arbeitet in einem Altersheim oder vielleicht bei der Rettung und setzt sich in 12 Stundenschichten, oft 60 Stunden in der Woche, für Mitmenschen ein.
An diesem Beispiel wird die Ungleichbehandlung von Zivildienern und die mangelnde Sichtbarkeit ihrer Arbeit in der Gesellschaft deutlich. Die letzten Entwicklungen sind nur Kulminationspunkt einer langen Entwicklung von juristischen Benachteiligungen, denen Zivildiener in ö–sterreich ausgesetzt sind.
Die Vorgeschichte
Die Situation der Zivildiener änderte sich nach der schwarz-blaurangen Wende gravierend. In wilder Novellierungswut sollten plötzlich 3,12 Euro pro Tag (vorher: 11,3) für die Verpflegung ausreichen. Dies wurde vom Verfassungsgerichtshof [VfGh] schnell als rechtswidrig aufgehoben. In einer neuen Novelle 2001 wurde geschickter eine „angemessene Verpflegung“ vorgeschrieben, die von den meisten Einrichtungen mit 6 Euro pro Tag interpretiert wurde.
2001 und 2002 hatte der VfGh in Einzelverfahren bereits festgestellt, dass für eine angemessene Verpflegung zwischen 11,3 und 13,6 Euro pro Tag erforderlich sind. Seitens des Innenministeriums und der von ihr – im übrigen rechtswidrig – beauftragten Zivildienstverwaltungs GesmbH (einem Privatunternehmen des Roten Kreuzes) wurden die Beschwerdeverfahren endlos in die Länge gezogen. Bis der VfGh diese Praxis durch ein Erkenntnis im Oktober 2005 beendete, das die schon vorher getroffenen Entscheidungen unterstützte und 13,6 Euro als Richtsatz festsetzte. Im Februar wurde darauf von der Bundesministerin für Inneres eine neue Verordnung zur Verpflegung von Zivis erlassen. [i]
Politische Spielchen
Fast parallel dazu beriet die Zivildienst-Reformkommission bis Jänner 2005 über die Erneuerung des Zivildienstwesens. Dabei wurde von der Jungen ö–VP ein „Zivildienerbund“ gegründet, der nie tätig wurde, aber von der ö–VP ins Feld geführt wurde, „um die Position der kritischen Zivildienervertreter bei der Zivildienst-Reformkommission zu schwächen“, wie Florian Seidl, stv. Obmann der Plattform für Zivildiener, bemerkt. Ein weiteres Beispiel für die „schmutzigen Methoden die rechtskonservative Regierung gegen die Interessen der Zivildiener“, so Seidl. Erfolgreich wurde auch die Schaffung einer gesetzliche Standesvertretung für Zivildiener verhindert, die damit immer noch keine gesetzlich anerkannte Stimme haben.
Als sich mit dem Spruch des VfGh eine Lösung der Verpflegungsgeldfrage anbahnte, sprangen die meisten politischen Parteien auf den Zug auf. Die Grünen präsentierten Formulare, mit denen Zivis endlich zu ihrem Recht kommen könnten (Formulare, die die Plattform für Zivildiener schon seit langem zur Verfügung gestellt hatte). Den Vogel schoss jedoch Norbert Darabos ab, indem er gleich eine „Geld-zurück-Garantie“ abgab: „Konkret werde man bei einem SPö–-Kanzler ohne Wenn und Aber die Differenz auf diese 13,60 Euro rückwirkend ab dem Jahr 2001 an alle ausbezahlen, die seither ihren Zivildienst abgeleistet haben“.[ii] Der Anfang einer langen Reihe von Instrumentalisierung der Zivis durch PolitikerInnen, man war auf Stimmenfang aus – schon mit Blick auf die Wahlen im Oktober. Im aktuellen Kontext der Regierungsbildung fordern SPö– und Grüne eine Fristverlängerung für Nachzahlungsanträge, gegen die Meinung der ö–VP. Es scheint um klare Positionen zu gehen, oder nicht ?
Das Zivildienst öœbergangsrecht
Interessant also, dass trotz aller Rhetorik im März 2006 das Zivildienst-öœbergangsrecht von allen Parteien einstimmig verabschiedet wurde. Im öœbergangsrecht werden erstmals die vom VfGh konstatierten 13,6 Euro akzeptiert, im gleichen Atemzug wird aber ein System zur Berechnung von Abschlägen konstruiert. Ferner wurde der 29.09.2006 als Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen eingeführt – alle bis dahin nicht eingebrachten Anträge würden verfallen.[iii] Man wollte das Thema ein für alle Mal vom Tisch haben. Wie Florian Seidl, ausführt konstruiert das öœbergangsrecht „einen Hindernisparcours für den Zivildiener, der um sein Recht kämpft. Unklare Zuständigkeiten und heimtückische Fristen führen dazu, dass viele Zivis um ihr Geld umfallen. Das Verfahren ist umständlich und intransparent. Zivis werden abgeschreckt, nehmen gutgläubig die Angebote der Einrichtungen an oder erfahren nie, dass ihre Fristen schon längst abgelaufen sind.“
Einmal nachrechnen…
Nicht umsonst wurde diese kafkaeske Rechtskonstruktion ersonnen, geht doch um viel Geld. Im Gesetz sind für die Nachzahlungen 100 Mio Euro veranschlagt (Studiengebühren machen etwa 140 Mio/Jahr aus). Wie Seidl ausführt, sind die Nachzahlungen um die Hälfte zu niedrig, woraus sich eine Ersparnis von mindestens 100 Mio Euro für Staat und Trägerorganisationen ergibt, wobei noch diejenigen dazu kommen, die keine Anträge stellen oder ihre Fristen versäumen.
Konkret zahlen die Einrichtungen den Zivis den Betrag nach, den sie vom Staat überwiesen bekommen – höhere Ansprüche werden geleugnet und es entstehen den Trägerorganisationen de facto keine Kosten. So werden einem Zivi vom Roten Kreuz beispielsweise etwa 1400 Euro angeboten – nur die Hälfte des Betrags, der ihm (inklusive rechtsüblicher Zinsen) zustehen würde.
Aus ökonomischen Zwängen nehmen die meisten Zivis die zu niedrigen Angebote an. Der Standard meldet, dass 2 Tage vor Eingabeschluss 50% der Zivis die zu niedrigen Angebote der Einrichtungen angenommen hätten und bereits 23,5 Millionen Euro ausbezahlt worden seien.[iv] Stimmen diese Zahlen, so liegen die realen Auszahlungen sogar nur bei 25% der tatsächlich zustehenden Summe (siehe Grafik).
Ware Zivildiener
Die Behandlung der Zivildiener entspricht ganz der neoliberalen Warengesellschaft, in der sie ihre Arbeit leisten. Zivildiener verkaufen ihre Arbeitskraft zu lächerlichen Preisen und werden wie Waren gehandelt. Vom Individuum und seinen Bedürfnissen wird dabei völlig abstrahiert, es bleibt ein Verschieben von Rechnungsposten. Mitspracherecht wird der Ware Zivi abgesprochen, ebenso ihre faktische Bedeutung für die Gesellschaft (Fredy Mayer vom Roten Kreuz: „Das Rote Kreuz braucht überhaupt keine Zivildiener.“[v]).
Durch die eklatante Benachteiligung der Zivildiener entsteht jedoch bei vielen ein Bewusstsein der Missstände und dieses mündet nicht selten in politische Initiative, sei es am eigenen Dienstort oder überregional (wie beispielsweise die Plattform für Zivildiener).
Ob die SPö– ihre überschwänglichen Versprechen halten wird bleibt fraglich. Letzten Endes wird der Kampf der Zivis um faire Behandlung jedoch weitergehen !
Weblinks:
www.zivildienst.at
www.zivildienstverwaltung.at
Timon Jakli studiert Germanistik und Soziologie in Wien und Konstanz
[i] Der Text der Verpflegungsgeldverordnung ist abrufbar unter: http://ris1.bka.gv.at/Authentic/findbgbl.aspx?name=entwurf&format=pdf&docid=COO_2026_100_2_256372
[ii] http://news.orf.at/ticker/200229.html
[iii] Text des Parlamentsbeschlusses zum öœbergangsrecht: http://www.parlament.gv.at/pls/portal/docs/page/PG/DE/XXII/I/I_01343/FNAMEORIG_058005.HTML
[iv] http://derstandard.at/?id=2602021
[v] http://www.roteskreuz.at/1685.html
Veröffentlicht in UNITAT November 2006, S. 3