Wir sind Elite – oder ?

Unter dem grenzgenialen Slogan „Brain up!“ soll ein Exzellenzprogramm die krisengeschüttelte deutsche Universitätslandschaft mit fast 2 Mrd. Euro wieder ankurbeln. Das Geld kommt jedoch vor allem der Forschung und kaum der Ausbildung von StudentInnen zu Gute.

Nicht nur in ö–sterreich wird Unipolitik mit Schlagwörtern ö  la „ö–sterreich muss Harvard werden“ gemacht. Auch unsere deutschen Nachbarn machen sich gegenwärtig Gedanken, wie man aus einer darniederliegenden Universitätslandschaft ein exzellentes Bildungssystem bauen könnte.

In Deutschland wurde Mitte 2005 die „Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder“ beschlossen, ein Programm, das „Leuchttürme der Wissenschaft, die auch international ausstrahlen“ (BMBF) schaffen soll. In einem dreistufigen Auswahlverfahren werden Fördermittel für drei Arten von Programmen vergeben: In ca. 40 Graduiertenschulen wird die postgraduale Ausbildung von JungforscherInnen gefördert. Etwa 30 Exzellenzcluster bilden Forschungszentren, die mit 6,5 Mio. Euro pro Jahr für projektorientierte Forschungskonzepte gefördert werden. Im dritten Schritt werden Zentren für Spitzenforschung (ähnlich Eliteuniversitäten) eingerichtet, die bereits mindestens einen Cluster und eine Graduiertenschule beheimaten und für ein Gesamtkonzept nochmals mit 21 Mio. Euro jährlich gefördert werden. Insgesamt werden bis 2011 ganze 1,9 Mrd. Euro ausgeschüttet (zum Vergleich: Die österreichische Eliteuni schlägt mit max. 70 Mio. Euro pro Jahr zu Buche).

Schieflage Ursprünglich als Gesamtförderprogramm gedacht, wurde aus der Initiative ein Forschungsförderungsprogramm, das kaum in die universitäre Lehre investiert. Nur die Graduiertenschulen kommen auch unmittelbar StudentInnen zu Gute. Zudem ist die Förderung stark auf Naturwissenschaften ausgerichtet: Nur ein Bruchteil der Graduiertenschulen und ein Exzellenzcluster (Uni Konstanz, Kulturelle Grundlagen von Integration) kommen aus den Geisteswissenschaften.

Der Geldsegen für die universitäre Forschung ist eine Ironie angesichts überfüllter Hörsaale, Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen. Prof. Albrecht Koschorke, Mitglied im Vorstand des Konstanzer Exzellenzclusters, beschreibt die Situation als „Reichtum unter den Bedingungen extremer Mangelwirtschaft“. Den Unis werde, „selektiv zurückgegeben, was ihnen in den letzten Jahrzehnten weggenommen wurde“. Prof. Koschorke erzählt, das Missverhältnis werde deutlich, wenn er am Vormittag für wenige Tausend Euro für Lehraufträge verhandle und ein paar Stunden später in einer Sitzung darüber nachdenke, wie mehrere Millionen Euro ausgegeben werden könnten.

Zukunftsperspektive Harvard ? Den bitteren Nachgeschmack des Geldsegens darf mensch indes nicht verschweigen. Er unterstützt die seit einigen Jahren sukkzessiv forcierte Abspaltung höherer Qualifikation (Master, Doktor) von einem Grundstudium für die Masse (Bachelor). Damit wird der humboldtsche Idee einer Lehre aus Forschung, die für deutsche Universitäten lange Leitbild war, buchstäblich die (Lehr-)Basis weggezogen. Andererseits bemerkt Koschorke, könnten „dynamische Strukturen, die finanziell abgesichert sind, viel bewirken“ und sich so auch kleinere Unis im Forschungsfeld behaupten. Für die Lehre brächte das Programm bestenfalls einen „lateralen Entlastungseffekt“, wie Koschorke ausführt – den Unis bleiben Spielräume die Mittel den StudentInnen indirekt zu Gute kommen zu lassen.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund erscheint unser eigener Wissensleuchtturm in Gugging zweifelhaft.

Timon Jakli studiert Germanistik und Soziologie in Wien und Konstanz

Weblinks:
http://www.bmbf.de
http://www.wissenschaftsrat.de/
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,396421,00.html

Veröffentlicht in PROGRESS 2/07, S. 11

Timon
Spracharbeiter. Kommunikator. Sprecher. Trainer. Historiker. Leidenschaftlicher Koch. Foodie.

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