Sechzehn Jahre sind seit dem letzten Attentat der RAF (Rote Armee Fraktion) vergangen – aber noch immer erhitzt das Thema die Gemüter. In der Debatte um die Freilassung der RAF-Aktivisten Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar fallen indes weniger politische als moralische Argumente. Es entwickelt sich ein archaischer Diskurs um Reue, Buße und Gnade.
Als am 5. September 1977 der deutsche Arbeitgeberpräsident Hans-Martin Schleyer von einem Kommando der RAF entführt wird, beginnt der „Deutsche Herbst“ – eine von Deutschland immer noch als traumatisch empfundene Zeit des politischen Terrors. Durch Videobotschaften versucht die RAF die gefangenen KämpferInnen der ersten Generation (Baader, Ensslin, Raspe u.a.) freizupressen. Als die Bundesregierung unter Helmut Schmidt nicht auf die Forderungen eingeht, entführt die PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) ein Passagierflugzeug. Das Flugzeug wird von Sondereinheiten gestürmt, drei der vier Palästinenser werden getötet. In der Nacht darauf begehen Rasper, Ensslin und Baader im Gefängnis Stammheim Selbstmord, einen Tag später gibt die RAF die Hinrichtung Schleyers bekannt. Der „Deutsche Herbst“ markiert den Höhepunkt des politischen Terrors in Deutschland durch die sogenannte zweite Generation der RAF.
Die Genese des Terrors der RAF ist zutiefst mit der Entwicklung der deutschen Nachkriegsgesellschaft verbunden. Die RAF ist nicht zuletzt ein Versuch die Erkenntnisse der 68er Bewegung radikal weiterzudenken und in politische Praxis umzusetzen. Der Staat wird als repressives Gewaltorgan erlebt (1967/68 sterben 2 Studenten bei Demos, Kollaboration mit dem persischen Schah) – für die erste Generation der RAF unter Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Ulrike Meinhof ist Gegengewalt nur die logische Konsequenz. Nach einer militärischen Ausbildung in Jordanien 1970 beginnt der politische Terror der RAF. Gleichzeitig kommt es in Deutschland zu einer nie gesehenen antilinken Hetzkampagne durch den Axel-Springer Verlag, der einen Großteil des Zeitungsmarktes kontrollierte. Nach der Verhaftung der ersten Generation bildet sich bald eine zweite Generation heraus, die gezieltere Attentate auf Führungspersönlichkeiten durchführt. Auch hier sind die Attentate Ausdruck einer fundamentalen Kritik am verlogenen Gesellschaftssystem der BRD: Generalbundesanwalt Buback als Exponent einer ungerecht erlebten Justiz, Schleyer als Schreibtischtäter des Naziregimes und Stütze der BRD-Gesellschaft, der Bankier Ponto als Exponent des kapitalistischen Finanzsystems. Anfang der 1980er werden die meisten Mitglieder der zweiten Generation gefasst, darunter auch Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Während eine dritte Generation noch bis Anfang der 1990er Jahre weiterkämpft, wurden Klar und Mohnhaupt zu fünf Mal lebenslänglich plus 15 Jahren (!) in Hochsicherheitshaft verurteilt.
Asymmetrien Seit einigen Monaten schwelt in Deutschland die Debatte um die Begnadigung Mohnhaupts und Klars. Die dabei eingesetzte Rhetorik ist erschreckend archaisch. Im medialen Diskurs wird ein öffentliches Reuebekenntnis gefordert, der Ruf nach Buße wird laut. Es scheint um mehr als eine Abwendung vom damaligen Kurs zu gehen, vielmehr wird eine öffentliche Absage an den bewaffneten Kampf durch die KämpferInnen selbst gefordert. In ihren Elementen erscheint diese Forderung religiös, enthält sowohl credo als auch Widersagung. Auffällig ist, dass der politische Terror nicht historisch verortet wird, sondern völlig ahistorisch und moralisierend behandelt wird. Gleichzeitig werden die Grenzen zwischen politischem Terrorismus und islamischem Terrorismus verwischt und der Diskurs mit einem polemischen Abwehrdiskurs gegen „das Böse“ verquickt. Die damit entstehende Verbindung von „Links“ und „Böse“ wird durch die „Gnade“ des liberalen Staates noch zusätzlich zementiert. Brigitte Mohnhaupt wurde im März 2007 begnadigt und lebt seitdem in Deutschland, Christian Klar wurde die Begnadigung verweigert und er befindet sich noch in Haft.
Timon Jakli studiert Germanistik und Soziologie in Wien und Konstanz
Weblinks: http://www.rafinfo.de
Veröffentlicht in Progress 4/07, S. 15