Dreimal entdeckt und wieder vergessen, und das innerhalb von hundert Jahren – eine ganz beachtliche Bilanz für einen Autor und sein Werk. Eine Annäherung an einen Unangenehmen der österreichischen Literatur, an Albert Drach, dessen Tod sich dieses Jahr zum zehnten Mal jährt. Timon Jakli
Es ist bemerkenswert, welche Wellen die Rezeption des Werkes von Albert Drach in der jüngsten Literaturgeschichte schlägt. Als seine Bücher zu Beginn der 1960er Jahre entdeckt wurden schaffte er den Durchbruch, endlich ein über die NS-Zeit schreibender ö–sterreicher, seine Bücher wurden neu aufgelegt – und es wurde wieder still um ihn. Dann Ende der 1980er machte ein Zeitungsartikel auf ihn aufmerksam, die literarische ö–ffentlichkeit nahm ihn wieder wahr. Prompt folgte 1988 die Vergabe des Büchnerpreises an den unbekannten Außenseiterautor Albert Drach. Wieder wurden seine Werke neu aufgelegt, diesmal bei Hanser – und es wurde wieder still um ihn. Endlich zu seinem 100. Geburtstag wurde Drach wieder geehrt, diesmal schon posthum, und für kurze Zeit stand er im Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Das war vor mittlerweile drei Jahren, eine neue Werksausgabe bei Zsolnay wurde präsentiert – und wieder wurde es still um ihn.
Dieses doch bemerkenswerte Auf und Ab von Vergessen und Entdecken liefert doch einigen Erklärungsbedarf.
Der Kuckuck im Vogelnest
Da die meisten Literaturgeschichten bestenfalls den Namen Drachs verzeichnen, sei zu seinem Leben folgendes gesagt: 1902 wurde Albert Drach als Sohn jüdischer Eltern in Mödling bei Wien geboren. Er absolvierte ein juristisches Studium, praktizierte als Anwalt und war schon früh als Schriftsteller tätig. Nachdem sich ö–sterreich an Deutschland angeschlossen hatte, floh Drach Ende 1938 über Jugoslawien und Italien nach Frankreich. Dort wurde er vom Vichy Regime in mehreren Anhaltelagern interniert und sollte schließlich an die Nationalsozialisten ausgeliefert werden. Drach gelang es durch eine wilde Kapriole (die am besten selbst in „Unsentimentale Reise“ nachzulesen ist) zu entkommen und er nistete sich in einem kleinen französischen Dorf ein – als Kuckuck im feindlichen Nest. Nach dem Krieg kehrte er nach Mödling zurück. Er stritt mit der Republik erbittert um sein arisiertes Heim – und gewann (im Gegensatz zu unzähligen anderen Opfern). Wieder nistete er sich ein, auch diesmal als Fremdkörper, in einer Gesellschaft die ihr nazistisches Gedankengut gerne mal latent beibehält. Im „Drach-Hof“ lebte und arbeitete Albert Drach zusammen mit seiner Frau Gerty bis zu seinem Tod 1995.
Seine Erlebnisse während der NS-Zeit und auf der Flucht verarbeitete Drach in seine Romane „ZZ – Das ist die Zwischenzeit“ und „Unsentimentale Reise“. Die oft als autobiographisch bezeichneten Romane gehen jedoch weit über eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte hinweg. Ironisch wird hier eine Kunstfigur stilisiert, anhand derer Welt und Gesellschaft ausgelotet werden (und die in „Unsentimentale Reise“ bezeichnenderweise den Namen Peter Kucku bekommt). Durch die ironische Brechung wird die Erfahrung reflexiv weitergedacht.
Der rebellische Kakanier
Ist von den Werken Albert Drachs die Rede, werden sie schnell als Kuriosa in eine Ecke gestellt – sein Protokollstil, sein juristisches Amtsdeutsch – all diese charmanten öœberbleibsel unseres schönen, alten kaiserlichen ö–sterreichs machen einen echten Drach aus. Damit wäre die kritische Arbeit daran auch erledigt, der Weg ins Vergessen ist geebnet.
Allein dieser Umgang mit Sprache zeugt vom Zustand unserer Gesellschaft. „Geschichte tangiert die Sprache nicht nur, sondern ereignet sich mitten in ihr“ schrieb Adorno in seinen Minima Moralia. Weiter: „Die Simplifizierung jedoch, die nicht bloß vom Marktinteresse, sondern von triftigen politische Motiven und schließlich vom geschichtlichen Stand der Sprache selber suggeriert wird, überwindet nicht sowohl die Nuance, als dass sie deren Verfall tyrannisch befördert.“ (Adorno, Minima Moralia, 2003. S. 250f.)
Es ist wenig wahrscheinlich, dass Albert Drach beim Schreiben seiner Werke Adorno bewusst wahrgenommen hat, ebenso wenig, dass Adorno Drach rezipierte. Trotzdem findet sich in Drachs Werk obenstehender Befund umgesetzt. Meisterhaft verwendet Drach in seinen Werken die totale Kanzleisprache Kakaniens und treibt ihre öœberstrukturiertheit immer weiter und weiter, „bis sie aus der subjektiven Abschattung umschlägt in die reine spezifische Bestimmung des Gegenstandes“ (Ebd., S. 252). Das Bestehen auf dem Detail wird so weit getrieben, dass es zu einer ironischen Bestimmung der Wirklichkeit ex negativo wird.
Dieses Verfahren führt Drach in „Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum“ und in „Untersuchungen an Mädeln“ auf der inhaltlichen Ebene weiter. In beiden Fällen sind die Hauptpersonen Angeklagte und die Figuren werden in den „Protokollen“ ex negativo gezeichnet: je mehr belastende Beweise und Indizien sich gegen die Angeklagten ansammeln, desto mehr wird die Unschuld der Angeklagten und die Korrumpiertheit der sie umgebenden Welt deutlich.
Dummheit als Makel
Doch damit ließ es Drach nicht bewenden. Immer war er überzeugt, durch seine Romane und Dramen auf die Menschen wirken zu können. Zu Zeiten, als noch Dramen von ihm aufgeführt wurden (so sein zu Unrecht vergessenes „Satansspiel vom göttlichen Marquis de Sade“), hielt er bisweilen im Anschluss daran kurze Ansprachen um dem Publikum verständlich zu machen, was es daraus lernen könnte. Nicht nur das, meldete er sich auch in der ö–ffentlichkeit gerne zur Interpretation seiner Werke zu Wort und ließ sich dabei nicht gerne ins Wort pfuschen. Legendär die Episode, als Paul Kruntorad konstatierte, Drach sei von Herzmanovsky-Orlando beeinflusst. Stehenden Fußes verklagte Drach ihn – und gewann. Dieses gesellschaftliche Engagement, das erbitterte Festhalten am Veränderungswillen machte es leicht, Drach als lebenden Anachronismus fortzuschieben.
Wenn Albert Drach Dummheit als den größten menschlichen Makel kritisierte, lag er damit vielleicht gar nicht so falsch. Für ihn war klar, dass die Dummheit der Menschen, nicht hinsehen zu wollen, allem öœbel – wofür der Nazismus stand und steht – Tür und Tor öffnet. Hitler war für ihn der Höhepunkt der Dummheit, er desavouiert ihn als burlesken Kasperl, als lächerliches Theater einer lächerlich gewordenen Welt.
Greift diese Erklärung auch zu kurz, um Nazismus und die Grausamkeit kapitalistischer Marktlogik zu fassen, so ist sie doch eine Erklärung für das auffällige Vergessenwollen gegenüber dem großen Autor Albert Drach. Den Dummen fällt es leichter, das Unangenehme beiseite zu schieben, als sich dem eigenen Unvermögen zu stellen und insofern ist Drach auch heute – gerade für ö–sterreich – hochaktuell.
Copyright 2005 by Timon Jakli,
Veröffentlicht in UNIQUE 04/05