Wir schreiben das Jahr 2005, von allen Ecken des Kulturbetriebs tönt, was einst und jetzt Albtraum so manchen Mittelschülers: Wir haben ein Schiller-Jahr, jährt sich doch am 9. Mai Friedrich Schillers Tod zum 200. Mal. Grund genug einen Blick auf sein Leben und Werk zu tun. Von Timon Jakli
Als Friedrich Schiller 1759 geboren wird, stehen die Chancen für aufstrebende Kleinbürger im Deutschland der Kleinstaaterei des 18. Jahrhunderts gut.
In Württemberg studiert er zunächst erfolglos Jura und später Medizin. Gegen den aufgeklärten Absolutismus vollzieht Schiller schreibend das Aufbegehren, das die Stürmer und Dränger schon Jahre zuvor ausdrückt hatten.
Die Räuber (1780) zeigen den Kampf des Einzelnen gegen die Gesellschaft – Schiller als wilder Revolutionär, das Stück macht ihn schlagartig bekannt. Schiller flüchtet aus der Enge Stuttgarts, es folgen Fiesko und Kabale und Liebe, die erfolglos bleiben. In den frühen Stücken lässt sich noch eine gewisse Distanz zur bürgerlichen Gesellschaft abmessen – wie Engels bemerkt, „[sei] es das Beste an Schillers „Kabale und Liebe“, daß sie das erste deutsche politische Tendenzdrama ist“.[i]
Wallfahrt zur Bürgerlichkeit
Geldsorgen treiben Schiller 1785 nach Leipzig, wo Don Karlos entsteht, der den Umbruch seiner dramatischen Konzeption markiert, und er beginnt sich historischen Studien zu widmen.
1787/88 kommt Schiller nach Weimar. Chronisch über Geldmangel klagend, besteht seine Hauptsorge darin von einer Gesellschaft zur nächsten zu eilen. Er verfasst die Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande, geprägt (auch mit Blick auf Frankreich) vom Glauben an die verändernde Kraft des Bürgertums. Als Schiller 1792 das Bürgerrecht der Republik Frankreich verliehen wird, hatte er sich schon längst von revolutionären Ideen verabschiedet.
Mit der Professur für Geschichte in Jena und seiner Ernennung zum Hofrat 1789/90, hatte er den Traum des Kleinbürgers gelebt. In dieser Zeit beginnt für Schiller eine Zeit der radikalen Umorientierung.
Es entstehen zahlreiche theoretische Schriften zum Theater. Mehr noch setzt sich Schiller mit Kant auseinander, was für sein folgendes Werk prägend wird. Der Begriff des Ideals wird zentral, seine Dramenfiguren werden zu „schönen Seelen“, bei denen Kantsche Pflicht und persönliche Neigung zusammentreffen. Er verfällt, so Engels, dem „Aberglaube[n], dass der philosophische Idealismus sich um den Glauben an sittliche, d.h. gesellschaftliche Ideale drehe“, fordert in seinem Ideal etwas Ohnmächtiges, „weil er das Unmögliche fordert, also nie zu etwas Wirklichem kommt“.[ii]
Der Bürger als Künstler und Erzieher
Eingeleitet durch die gemeinsame Arbeit an den Horen beginnt 1794 eine intensive Zusammenarbeit mit Goethe. Ebenda erscheint 1795/96 sein wohl wichtigster Aufsatz öœber naive und sentimentalische Dichtung.
Hier expliziert Schiller sein Schreibprinzip anhand der Differenz naiv-sentimental. Während der naive Dichter unmittelbar die Natur erweitere, stehe der sentimentale in einem Reflexionsverhältnis zu ihr – der moderne Dichter rühre durch Ideen.
Schiller macht klar wessen Aufgabe die Veredelung des Menschen durch Kunst sei. Es bedürfe einer „Klasse von Menschen (…), welche ohne zu arbeiten thätig ist, und idealisiren kann, ohne zu schwärmen; welche alle Realitäten des Lebens mit den wenigstmöglichen Schranken desselben in sich vereiniget, und vom Strome der Begebenheiten getragen wird, ohne der Raub derselben zu werden.“.[iii]
Mit dieser Anspielung auf die Bourgeosie, entlarvt sich Schiller als Proponent des gerade an die Macht gelangenden Bürgertums. Die arbeitende Klasse sei „Opfer ihres Berufs“[iv], die nur in den Müßiggang abgleite.
Was bis zu seinem Tod 1805 folgt kann als Umsetzung dieser idealischen Ideologie gesehen werden, es entstehen Maria Stuart (1800), Wallenstein und Wilhelm Tell (1804).
Der Geist Schillers trifft sich am Ende mit dem von Adorno beschworenen: „Als Kraft hat Schwäche den Gedanken des angeblich aufsteigenden Bürgertums zu der Zeit schon an die Ideologie verraten, da es gegen die Tyrannei wetterte. Im innersten Gehäuse des Humanismus, als dessen eigene Seele, tobt gefangen der Wüterich, der als Faschist die Welt zum Gefängnis macht.“[v]
[i] MEW 36, Brief v. 26.11.1885
[ii] MEW 21, S. 281
[iii] Schiller, Friedrich: öœber naive und sentimentalische Dichtung. Reclam, 2002. S. 94.
[iv] Ebd.
[v] Adorno, Theodor W.: Minima Moralia. Suhrkamp, 2003. S. 100.
Copyright 2005 by Timon Jakli,
Veröffentlicht in UNITAT 1/05