Hallo,

lange Zeit ist seit dem letzten Mail vergangen. Die letzten zwei Sitzungen wären dem Thema Strukturalismus-Semiotik gewidmet gewesen. Hier die grundsätzlichen Überlegungen dazu:

1) Wie Helga Gallas herausstreicht bezeichnet Strukturalismus eher die METHODE, während Semiotik den GEGENSTAND (also Zeichen) anspricht. Seit ca. 1980 spricht man im Grunde nur noch von Semiotik, Strukturalismus als Theorierichtung lebt in dieser bzw. in der Narratologie fort.
2) Der Grundunterschied zwischen Strukturalismus und Hermeneutik ist gravierend: StrukturalistInnen sind überzeugt, dass einem Text vom Subjekt unabhängige Strukturen zugrunde liegen. Und dass diese Strukturen durch objektivierbare Verfahren sichtbar gemacht werden können. Das hat Vorteile (Texte werden vergleichbar, Textuntersuchungen können anhand lernbarer Methoden gemacht werden), aber auch Nachteile (woher kommt diese Struktur ?, wo ist der Platz des Subjekts ihr gegenüber ?, ist die Realität Ausfluss der Sprache - bestimmt sozusagen das Bewusstsein das SEIN ?, Ahistorizität...).
3) StrukturalistInnen kamen durch Anschluss an andere Wissenschaftsfelder (Kulturanthropologie, Psychologie), schnell darauf, dass viel mehr als nur Geschriebenes als Text untersucht werden kann. Daher weitet die Theorie den Textbegriff radikal aus - untersucht können von Fernsehserien bis Glasfenster alle Objekte oder sogar Praktiken des täglichen Lebens.
4) Im Strukturalismus gibt es einen Werkzeugkasten von Verfahren, der auf Texte angewendet werden kann. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass Bedeutungen immer in RELATION zu anderen Zeichen entstehen. Die Relationalität von Bedeutungen gibt einmal die Synchronität der Untersuchung vor. Dann wird untersucht, wie die paradigmatische Beziehung (DIFFERENZ) und die syntagmatische Beziehung (RELATION) zusammenhängen. Ein Beispiel: Ein Dichter verwendet nicht das Wort "Mai", sondern "Wonnemonat". Indem ich mir mehrere Worte für Mai überlege und mir die Unterschiede bewusst mache, wird mir der spezifische Sinn von "Wonnemonat" klar werden. Nun steht neben "Wonnemonat" im Gedicht "wandern wollüstige Wunderknaben". In der Untersuchung der syntagmatischen Beziehung wird mir klar, dass hier eine lautliche und inhaltliche Beziehung hergestellt wurde, die mit "Mai" nicht funktioniert hätte.
5) Das Textbeispiel von Roland Barthes zeigt einige Probleme dieser Methode auf: Das Postulat von Objektivität der Untersuchung macht mir gleichzeitig eine WERTUNG des Textes schwer. Ich kann nicht sage, ob es ein "guter" oder "schlechter" Text ist, auch schwerlich wie "ideologisch" er ist. Barthes versucht in den Mythen des Alltags eine Verbindung zur Struktur der Gesellschaft herzustellen, nur merkt man schnell, dass dieser Versuch hakt: Der Sprung von der Textstruktur auf die Gesellschaftsstruktur ist recht willkürlich (wieso: siehe die oben aufgezählten Nachteile).

Ob man nun die Prämissen des Strukturalismus teilt oder nicht, er bietet einen hervorragenden Werkzeugkasten an, um Texte zu untersuchen. Daher empfehle ich jedem/jeder sich einmal ein wenig mit Jakobson, Genette und Co auseinanderzusetzen.


Zum Thema Psychoanalyse und Literaturtheorie werden wir uns u.a. folgende Fragen stellen:
*Wie funktioniert das Verhältnis Autor-Text-Leser-Gesellschaft in der psychoanalytischen Literaturtheorie ?
*Was ist der Text für solche Theorien ?
*Wie kann ein Text psychoanalytisch interpretiert werden ?
*Was für Vor- und Nachteile hat das ?

Lieben Gruß

Timon

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