Hallo !

 

Die Sonnenstrahlen haben auch mich nach draußen getrieben, daher blieb viel liegen, unter anderem auch dieses Mail...entschuldigt die Verspätung.

 

Letztes Mal ging es um Hermeneutik. Dabei haben wir folgendes festgestellt:

1) Hermeneutik hat schon eine lange Tradition. Bereits in der Antike beschäftigte man sich mit der Exegese von Homertexten oder der Torah und entwickelte dabei hermeneutische Verfahren. Wichtig ist eine systematische Anwendung der Hermeneutik (in ihrer speziellen Variante der Typologie) bei Paulus im Neuen Testament. Bereits in den antiken Bemühungen um alte Texte ist einiges angelegt, was auch für moderne Hermeneutik typisch ist: Verständnis des Textes als vergangen, eine Loslösung des Textes von seinem unmittelbaren Entstehungs- und Bedeutungszusammenhang und damit verbunden ein Bewusstsein seiner interpretationsbedürftigkeit. Auch die Konstatierung eines Abstandes zwischen Autor-Text-Leser ist grundlegend.

Der Begriff Hermeneutik wird im 17. Jahrhundert von Dannhauser eingeführt. Die erste systematische Reflexion der H. in der Moderne leistet Schleiermacher (1768-1834), der sie zu einer erkenntnistheoretischen Metatheorie des Verstehens ausweitet. Später erklärt sie Dilthey (1833-1911) zu DER Methode der Geisteswissenschaften, zu einer Art Kulturtheorie, die uns die Zusammenhänge der Welt verstehen lässt. Über Nietzsche führt dann der Weg ins 20. Jahrhundert zu Heidegger, der Hermeneutik als Grundbewegung des Seins ansieht und dem ganzen eine ontologische Wendung gibt. Auch für Gadamer ist Sprache und Verstehen eine Grundbefindlichkeit des Menschen, bei ihm geht es jedoch um eine Transzendierung des eigenen Verstehens durch Horizontverschmelzung. Moderne Hermeneutische Ansätze versuchen die Probleme eher vom Leser aus zu denken und haben Rezeptionsästhetische Modelle entwickelt.

2) In ihren Kinderschuhen arbeitet die Hermeneutik mit einem sehr engen Textbegriff: Es geht um schriftliche Texte und auch da nur um einen kleinen Kanon heiliger oder geachteter Texte. Mit Dilthey erweitert sich der Textbegriff, indem es um ein Verstehen von WIRKUNGSZUSAMMENHÄNGEN geht - darunter fällt viel mehr, z.B. Artefakte, Praktiken etc. Interessanterweise verengt sich der Begriff bei Gadamer wiederum, da für ihn Texte durch eine Tradition selektiert werden. Gadamer zufolge bringen mich nur "wertvolle" Texte dazu, meinen eigenen Standpunkt zu transzendieren - und der Wert bestimmt sich aus der zugehörigkeit zu einem überlieferten Kanon (nach dem Motto: Was die Leute schon immer gut fanden ist auch gut). Das ist natürlich problematisch, damit kann man weder neue Literatur erfassen noch marginalisierte Formen. Auch wäre zu überlegen ob Gadamer sich da nicht in den Schwanz beißt, weil der von ihm konstatierte Wert eigentlich aus seinem eigenen Vorurteil heraus kommt: Er versteht also nur das, was er verstehen WILL.

3) Die Rolle des VERSTEHENS ist für die Hermeneutik zentral. Schon Dilthey konstatiert, in den Geisteswissenschaften gehe es um Zusammehänge und diese könnten nur VERSTANDEN, nicht wie in den Naturwissenschaften kategorisiert und beschrieben werden. Der Begriff der Horizontverschmelzung bei Gadamer bringt einen Aspekt ein, der für alle hermeneutischen Theorien (bis hin zur Rezeptionsästhetik) zentral ist: Indem ich ein Werk zu verstehen suche, überschreite ich (in der Konfrontation mit dem Anderen) meinen eigenen Standpunkt und entwickle Sichtweisen, die ich aus mir selbst heraus nicht entwickeln kann. Denkt man den Horizont weiter, entsteht dadurch fast ein metaphysisch anmutender Standpunkt, der einen erkennen ließe, was die Welt im Innersten zusammen hält. Hermeneutische Theorien unterscheidet nicht zuletzt, welchen Anteil sie der Gesellschaft bei diesem Akt zumessen - welchen Anteil haben kollektive Normen und Vorstellungen bei meinem Verstehen ? Zwischen Werkimmanenz und Rezeptionsästhetik liegt diesbezüglich eine weite Strecke...

4) Hermeneutik ist weniger eine Texttheorie. D.h. sie bietet mir keine expliziten Lektürestrategien an, sondern eher eine Reflexion des Verstehensprozesses. Am ehesten trifft das Zirkelproblem die Lesestrategie: Ein Text muss immer im Zirkel von Teil und Ganzem verstanden werden: Der Teil mit Blick auf das Ganze und das Ganze mit Blick auf den Teil. Ein Beispiel wie solch eine Lektüre aussehen könnte bietet der Text von Paul Ricoeur zur Metapher.

 

 

Heute werden wir uns mit einer TOTAL entgegengesetzen Richtung beschäftigen: Dem Strukturalismus. Dabei beschäftigen uns folgende Fragen:

*Was unterscheidet Strukturalismus von Hermeneutik ?

*Was ist für StrukturalistInnen ein Text ?

*Welche Rolle kommt Theorie zu ?

*Wieso sagt mir ein Citroen etwas über die Französische Gesellschaft ?

*Wie werden Texte strukturalistisch gelesen ?

 

 

Lieben Gruß

 

Timon

 

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