Hallo zusammen,

ich hoffe alle haben die Osterferien unbeschadet überstanden.
Die letzte Sitzung ist nun einige Zeit her und fand nun auch nicht gerade rasenden Zuspruch, daher möchte ich die Hauptpunkte kurz zusammenfassen:
1) Bourdieus Konzept steht in einer Linie mit dem Ansatz von Lucien Goldmann und Georg Lukács. Allen ist gemeinsam, dass sie dem Ästhetischen eine gewisse (mehr oder minder große) Autonomie gegenüber der materiellen Gesellschaft einräumen. Während Lukács' Konzept noch ein dezitiert revolutionäres ist, schwächen die soziologischen Aspekte Goldmanns und Bourdieus dies deutlich ab - ihnen geht es mehr um Analyse (Goldmann) bzw. Veränderung des Bestehenden von Innen (Bourdieu).
2) Literatur und literarische Äußerungen sind in Boudieus Theorie Ausdruck der sozioökonomischen Position des Akteurs in einem bestimmten Feld zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das heißt, indem ein Autor seinem Werk eine bestimmte Form gibt oder bestimmte inhaltliche Momente darin entwirft, bringt er sich in ein Verhältnis zu anderen Autoren. Dieses Verhältnis kann orthodox (also das Bestehende zementierend) oder häretisch sein, immer ist es jedoch Bourdieu zufolge ein Kampf. Literatur ist also ein Ausdruck von Konflikten in einem spezifischen Sektor der Gesellschaft.
3) Theorie ist für Bourdieu ein Instrument der Veränderung. Die Beschreibung von Strukturen ermöglicht erst ihre Veränderung. Durch die Einsicht in Prozesse können Strukturen bewusst gemacht werden (Lukács lässt grüßen) und durch aktive politische Teilnahme verändert werden.
4) Das Verhältnis von Text und Gesellschaft ist bei Bourdieu reichlich komplex. Wie oben gesagt, ist der Text immer auch eine Positionierung im literarischen Feld. Gleichzeitig reproduzieren sich in diesem Feld gewisse Strukturen der materiellen Basis, dies jedoch nicht mechanistisch - da Felder immer eine gewisse Autonomie und Eigenlogik entwickeln. Diese wiederum ist nie völlig abgekoppelt von der Gesellschaft selbst.
5) Bourdieus Theorie kann sowohl qualitativ als auch quantitativ angewandt werden. Bei einer qualitativen Anwendung werden Statistiken erstellt - über Publikum, LeserInnen und Verbreitungsgrad. Oder auch darüber, wo Künstler wohnen und wie sich dies in der Stadtgeographie niederschlägt usw. Solche Arbeiten sind sehr spannend, jedoch extrem arbeitsintensiv. Qualitativ können vor allem gewisse Begriffe Bourdieus verwendet werden - Feld, Habitus, Kapital etc. Dabei wird versucht, spezifische Probleme entlang dieser Begrifflichkeiten zu untersuchen.

Beispiele für Untersuchungen und Auseinandersetzungen mit Bourdieu finden sich bei: Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis. Hrsg. von Markus Joch und Norbert Christian Wolf. Tübingen: Niemeyer, 2005.


In der 4. Sitzung am 18.04.2007 werden wir uns mit Hermeneutik beschäftigen, anhand eines Textes von Hans Georg Gadamer. Wir werden sehen, Hermeneutik ist nicht nur eine Literaturtheorie, sondern eine Metatheorie des Verstehens überhaupt.
Dabei gehen wir folgenden Fragen auf den Grund:
*Wie hat sich Hermeneutik entwickelt ?
*Was ist für Hermeneutik ein Text ?
*Welche Rolle kommt dem Verstehen zu ? Ist es nur ein individueller Akt ?
*Wie werden Texte "hermeneutisch" gelesen ?

Infos zu Gadamer findet Ihr unter:
http://www.ms.kuki.tus.ac.jp/KMSLab/makita/gadamerd.html oder http://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Georg_Gadamer


Auf der Tutoriumshomepage wurden folgende neue Texte eingestellt:
*Schnittstellen (1. Sitzung), die Grafik soll bei der Orientierung helfen, WO Literaturtheorie ansetzen kann und was alles in die Betrachtung einfließen kann/soll
*Litearturliste zur Marxistischen Literaturtheorie (2. Sitzung), bietet viele Literaturangaben für Interessierte


Ich freue mich auf Euer Kommen,

herzlichen Gruß

Timon

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