Hallo,

nachdem endlich die Sonne ins Land eingekehrt ist, hoffe ich doch, dass ihr Eure Freizeit nicht im Hörsaal verbringt ;-)

Sollte doch noch jemand unbändiges Interesse an Diskursanalyse haben:

1) Poststrukturalismus ist eine Weiterführung und gleichzeitig Kritik des Strukturalismus. Im wesentlichen werden damit viele heterogene Strömungen beschrieben, die so unterschiedlich sind wie Barthes, Foucault, Derrida oder Lacan. Gemeinsam ist ihnen eine Dynamisierung des starren Begriffsapparates der StrukturalistInnen sowie die Tendenz zu einer historisierend-kontextbezogenen Lektüre.
2) Die Kippe vom Strukturalismus zum Poststrukturalismus lässt sich schön am Werk Roland Barthes veranschaulichen. Wer - die auch gravierenden stilistischen Unterschiede - mal erspüren will: "Das semiotische Abenteuer" gegen "S/Z" lesen.
3) Für alle StukturalistInnen ist das Subjekt problematisch geworden: Sie rezipieren Linguistik und wenden sie auf Philosophie und Literatur an. Daraus gewinnen sie einen Subjektbegriff, der instabil ist und sich durch Unabschließbarkeit auszeichnet. So wie Bedeutungen durch Differenz und Veränderlichkeit gekennzeichnet sind, so ist es auch das Subjekt selbst: Daher besinnen sich die PoststrukturalistInnen auch zurück auf Nietzsche, der jeden Sinnzusammenhang IN der Welt selbst für metaphysischen Schwachsinn hält und an der Möglichkeit eines ordnenden vernünftigen Subjekts zweifelt. Das bringt mehrere Dinge mit sich: Eine Absage an materialistische Konzepte, die letztlich IN der Welt und dem Handlungsgeflecht der Subjekte eine sinnhafte und analysierbare Tatsache sehen, sowie eine Absage an den ordnenden Verstand der Aufklärung. Man muss sich auch vor Augen halten, dass die Kippe zum Poststrukturalismus in einer politisch und ideologisch sehr bewegten Zeit passierte: Studentenunruhen, Frauenbewegung, versteinerte Institutionen. Der Poststrukturalismus ist mithin auch ein Zweifel an aller Ideologie selbst, an aller Form von System. Das hat natürlich auch seine Nachteile: Politische Handlungsfähigkeit lässt sich mit poststrukturalistischen Argumenten nur sehr schwer Argumentieren. Zudem ist der Zweifel an Ideologie selbst eine Ideologie, die eines postmodernen Liberalismus nämlich, die sich jedoch als unpolitisch ausgibt, was sie auch nicht besser macht...
4) Michel Foucault behauptet (wie auch Roland Barthes), der Autor sei "tot". Mit dieser provokanten Formulierung setzt er sich zum einen von biographischen Ansätzen einer versteinerten Hermeneutik ab, zum anderen postuliert er damit nichts anderes, als den Tod des Subjekts. Literatur und Literaturgeschichte dürfen nicht mehr als sinnhafte Äußerungen von Subjekten und Akteuren gelesen werden - sondern als Teile von Diskursen. Was nun so ein Diskurs ist, lässt Foucault selbst etwas schwammig: Es kann von "Themenkreis" bis "Redeweise über ein Thema" meinen, bis hin zu einem Komplexen System von Regeln und Klassifizierungen, die festlegen was in einem bestimmten Gebiet sagbar ist oder nicht. DIESE Diskurse sind es, an denen ein Text Teil hat und von denen er geprägt wird. Der "Autor" ist nur noch eine Funktion in diesen Diskursen, um damit Autorität zu verleihen, Widersprüche im Text zu erklären oder als Qualitätsmerkmal zu fungieren. Wie Bourdieu hinweist, schweben die Diskurse bei Foucault in der Luft und sind letztlich metaphysisch - da nicht konkret materiell verortbar. Die Frage ist somit, was eine Beschreibung der Zusammen- und Machtspiele von Diskursen in einem Text konkret für die (literaturwissenschaftliche/politische) Praxis bringt ? Ist Beschreibung allein schon Widerständig ?

Vielleicht mag der/die eine oder andere ja darüber nachdenken.

Morgen werden wir einen kurzen Text von Derrida behandeln und versuchen, uns diesem schwierigen Autor im Kontext des Poststrukturalismus zu nähern. Der englische Derrida Artikel in Wikipedia ist besser als der deutsche, falls sich jemand so informieren will: http://en.wikipedia.org/wiki/Jacques_Derrida
Eine Seite mit vielen Materialien (Videos, Audio etc.) findet sich unter: http://www.hydra.umn.edu/derrida/

Unter anderem stellen wir uns folgende Fragen:
*Was sind Subjekt und Text für Derrida ?
*Wie können Texte dekonstruiert werden ?
*Wer dekonstruiert die Dekonstruktion ?


Zuletzt findet sich auf der Seminarhomepage für die letzte Sitzung noch ein wirrer Versuch, möglichst viele philosophische-literaturtheoretische Strömungen in einem systematischen Diagramm unterzubringen - Unter dem Titel "Strömungen". Zu wissen wieso hier ein Pfeil ist, oder vielleicht Einwände zu haben ist ein gutes Zeichen für Verständnis...

Einen schönen Gruß

Timon

 

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