Hallo !

Auf der Tutoriumshomepage (http://www.unet.univie.ac.at/~a0300350/textanalyse.htm) findet Ihr nun ein Glossar zur Lyrikanalyse und ein Blatt mit Betonungsregeln im Deutschen.

Hier eine Zusammenfassung der ersten beiden Sitzungen...

In der ERSTEN Sitzung ging es darum:
Textanalyse und Literaturtheorie hängen eng zusammen. Vor allem nach dem sog. "linguistic turn" in den 1960er Jahren sind die beiden nicht mehr miteinander zu trennen - die Sprache ist das Material aus dem Bedeutung hergestellt wird, deshalb muss die sprachliche Gestalt des Textes genau analysiert werden. Textanalyse ist ein Überbegriff für Verfahrensweisen und Werkzeuge mit denen wir uns Texten nähern können.
Viele Verfahren, die wir kennenlernen haben ihren Hintergrund in sprachwissenschaftlichen Überlegungen. Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass DIE AUSWAHL DES WERKZEUGS WESENTLICH DAS ERGEBNIS MITBESTIMMT ! Gleichzeitig übernehmen wir mit dem Werkzeug auch gewisse Annahmen der dahinter stehenden Theorie (z.B. bei strukturalistischer Erzählanalyse den Textbegriff, den Subjektbegriff, die Annahme was Gesellschaft ist...).
Literaturtheorie beschäftigt sich zentral mit der Frage WIESO wir einen Text überhaupt interpretieren dürfen und WORAUF wir von einem Text ausgehend schließen dürfen (auf uns, auf den Autor, auf die Gesellschaft ?). Textanalyse ist die andere Seite der Medaille - hier geht es darum, WIE ein Text interpretiert wird.
Zentral für die Textanalyse sind die Überlegungen der HERMENEUTIK. Die Hermeneutik lehrt uns vor allem 2 Dinge: *Bedeutung erschließt sich nicht von selbst, ein Text ist vergangen und muss interpretiert werden - es besteht ein Spalt zwischen uns und dem Text. *Wenn wir uns einem Text nähern tun wir das immer mit bestimmten Annahmen, einem gewissen Vorverständnis. Dieses beeinflusst uns bei der Interpretation.
In der Hermeneutik gibt es eine schöne Denkfigur für das, was wir tun: Den hermeneutischen Zirkel. Er beschreibt, dass Verstehen immer von den Teilen ausgeht. Die Teile müssen aber mit Blick auf das Ganze interpretiert werden. Genau so muss aber auch das Ganze mit Blick auf die einzelnen Teile interpretiert werden. Das lehrt uns für unsere Textanalysen: Wir müssen auch Details beachten, dürfen dabei aber nicht den Aufbau/Inhalt des Textes als ganzem vergessen.
Textanalyse ist nun das Mittel, das uns die Ergebnisse an die Hand gibt aufgrund derer wir überhaupt erst zu einer gültigen Interpretation kommen können. Denn eine Interpretation muss die Teile und das Ganze beachten - diese müssen daher vorher festgemacht werden.


Die ZWEITE Sitzung drehte sich um das Thema "Gattung":
Auf fast jeden Text, den wir behandeln steht eine Gattungsbezeichnung. Wie wir gesehen haben, weckt diese Bezeichnung spezifische Erwartungen in uns (Roman->lang, muss sich Zeit nehmen; Tragödie->viele Tote, alles schrecklich; Kömodie->kurzweilig usw.). Wir sind die Gattungstrias Lyrik-Epik-Dramatik gewöhnt. Diese gibt es in der Form erst seit Goethe/Hegel. Je länger man überlegt, desto mehr Gattungsbezeichnungen werden einem einfallen (Roman, Kurzgeschichte, Novelle, Erzählung, Short Story, Witz, Brief). Manche sind Überbegriffe, manche sehr speziell. Zu manchen gibt es ganze Theorien (Novelle!), manche sind sehr wenig theoretisch behandelt.
Die Besprechung der Texte über Genre hat uns einige Punkte gezeigt:
*Genres haben eine bestimmte gesellschaftliche Funktion, die historisch veränderlich ist (der Roman war 1629 noch nicht existent, 1930 ist er die "Königsgattung"). Es gibt zu jeden Zeitpunkt auch eine Hierarchie der Genres.
*Ein Text ordnet sich immer in eine Genretradition ein, kann dieser aber auch Widerstand entgegensetzen.
*Mit Genres sind auch gewisse gesellschaftliche Verhältnisse für Texte gegeben: Beispielsweise war das Genre der Tragödie lange Zeit ständisch bestimmt (es durften nur adelige auftreten) - hier hat sich ein reales gesellschaftliches Verhältnis in einer Genrenorm reproduziert. Genre ist also auch eine ideologische Form.
*Tzvetan Todorov begreift Genres als institutionalisierte Sprechakte - also eine Gesellschaft kodifiziert gewisse Arten der Rede und formalisiert diese zu Genres. Auch hier wird der Zusammenhang zwischen Genre und Gesellschaft deutlich.
Mit diesen Überlegungen soll gezeigt werden, dass die Textanalyse schon bei der Gattungsbezeichnung des Textes (beim "Paratext" wie Gerard Genette das nennt) beginnen muss.

Eine Frage vom letzten Mal blieb meinerseits nur ungenügend beantwortet:
*Männlicher/Weiblicher Reim:
Die Unterscheidung männlicher/weiblicher Reim ist analog zur Bestimmung der Kadenz. Bei der Kadenz wird geschaut, ob ein Vers mit einer betonten (m) oder unbetonten Silbe (w) endet. Genauso ists beim Reim - kommt nach der letzten Betonten Silbe nichts mehr ist der Reim männlich, hängt noch eine unbetonte Silbe dran ist er weiblich.
Die Sache mit dem Vokal, die ich Euch gesagt habe, ist eine Eselsbrücke: Meist sind die männlichen Reime mit hartem Auslaut (Konsonant), die weiblichen mit einem Vokal in der unbetonten Silbe (z.B. -er).
Beispiel:
Lenore fuhr ums Morgenrot (m)
Empor aus schweren Träumen: (w)
»Bist untreu, Wilhelm, oder tot? (m)
Wie lange willst du säumen?« (w)


Morgen werden wir uns mit Lyrikanalyse beschäftigen und zuerst versuchen einige Begriffe zu klären und uns zu überlegen, wie man an Gedichte herangehen kann.

Herzlichen Gruß

Timon

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