Ein Bad im Weichzeichner

Die großen Geschichten des Lebens sind meist schnell erzählt: Ein Mann trifft eine Frau. Sie verlieben sich. Die restlichen 250 Seiten liefern nur das Beiwerk dazu. ö„hnlich läuft es auch in Iris Hanikas Roman Treffen sich zwei ab. Was am Klappentext als „Liebesroman für Erwachsene und ein Heimatroman aus Berlin-Kreuzberg“ angekündigt wird, klingt zu Anfang auch ganz gewöhnlich. Senta, eine gescheiterte Geisteswissenschaftlerin, die nahe am Wasser gebaut ist und deren Gedanken wie ein schlechter Liebesroman funktionieren, trifft in einem Queer-Cafe Thomas, einen nicht ganz jungen und nicht sehr attraktiven Systemberater. Kaum sehen sich die beiden ist’s auch schon passiert: Wie ausgehungerte Wölfe fallen sie über einander her. Nun sind Liebesromane (sofern sich nicht im eigenen Leben gerade einer abspielt) doch auch recht banal – und so liest sich die Geschichte von Thomas und Senta zu Anfang auch. Doch Iris Hanika hat die Fäden ihrer Figuren zu souverän in der Hand, um das nicht zu bemerken und schon nach kurzer Zeit bemerkt der Leser die Ironie der Erzählerin ihren Figuren gegenüber. Der Roman führt dabei vor, wie sich die emotionellen Wogen inmitten von Zitaten bewegen, wie sehr die Formen des Begehrens und Liebens schon ausgeleiert sind. Der Text ist dabei mit Zitaten aus Popkultur und Hochliteratur sowie formalen Brüchen gespickt, durch welche die Zuckergusshandlung ironisch konterkariert wird. Ein lehrreiches Buch, nicht nur für Verliebte ! TJ

Veröffentlicht in PROGRESS 3/08

Timon
Spracharbeiter. Kommunikator. Sprecher. Trainer. Historiker. Leidenschaftlicher Koch. Foodie.

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